Zeit für politischen Stresstest

Arnulf Rating seziert im Unterhaus die Lage als „Deutschlands älteste Rating-Agentur“

(asche). Mit über 30 Jahren Bühnenerfahrung zählt Arnulf Rating zu den Urgesteinen des deutschen Kabaretts. Jetzt ist es an der Zeit für einen politischen Stresstest. Wer, wenn nicht er — „Deutschlands älteste Rating-Agentur“ — wäre dazu geeignet, die aktuelle Befindlichkeit des Landes bis auf Herz und Nieren zu sezieren?

Seine verdeckten Bissigkeiten und sozialkritischen Rundumschläge verteilt er im Unterhaus verkleidet aus den Perspektiven von Krankenschwester Hedwig, Doktor Mabuse, als Busfahrer Koslowski, Deutschland 21-Gegner oder als Projektleiter im Nadelstreifenanzug.

Alle auftretenden Typen sind irgendwie verwickelt in den Stresstest Deutschland. Und sei es nur, um den Hometrainer aus dem Stressmobil zu laden. Getestet wird am lebenden Menschen. „Tierversuche kann sich keiner mehr leisten.“

Der Wahlberliner ist über Finanz- und Lokalpolitik bestens im Bilde: „Sie sind ja in Mainz schon so gebeutelt, dass sich der OB keine drei Gläser Wein mehr leisten kann.“ Dabei geht es den Mainzern finanziell noch vergleichsweise gut: „Amerika ist so pleite, dass sie Gefängnisinsassen entlassen müssen, weil sie sich die Käfighaltung nicht mehr leisten können. Die laufen jetzt frei herum und gehen an die Börse.“

Über die politische Entwicklung kann er sich sowieso nur wundern: „Wir kämpfen in Somalia gegen Piraten und in Berlin ziehen die ungehindert in den Bundestag.“

Bei seinen Arztwitzen ist zum Teil das Verfallsdatum abgelaufen. Dafür brachte die Testosteronuntersuchung aufschlussreiche Ergebnisse: „Mit zwei Brüsten oder sechs Zylindern bringt man jeden Mann aus der Bahn. Darum exportieren wir Mercedes, BMW, Audi — und Leopard, für die ganz harten Fälle.“

Der Deutschland 21-Stresstest-Gegner empfindet sich als sanften Befreier, der sich der politischen Sprengkraft seiner Verweigerungshaltung bewusst ist: „In Stuttgart haben wir angefangen und dann ging das überall los in Ägypten und Lybien.“

Als bierbäuchiger Busfahrer Koslowski schildert Rating ein realistisches Arbeiterschicksal seiner Heimat im Ruhrgebiet. Nach seiner Arbeit als Bergmann kam Koslowski nach der Stilllegung der Gruben zu Opel, wo das Werk vor Ende seiner Mechatroniker-Ausbildung in den Osten verlagert wurde, bis er schließlich bei Nokia landete, die ihr neues Werk schnell nach Rumänien verlegten. Nicht komisch. Keine Pointe. Rating ist der besonnene Keifer. Sein Vortrag scheint nicht wie eine Jagd nach den großen Lachern. Dazu sind die Themen viel zu erzürnend. Doch sein Sarkasmus befreit. Wo Rating ist, herrscht massives Schmunzeln.

© Allgemeine Zeitung (Mainz), 10.11.2011