Hedwigs schwerste Fälle

Ingolstadt (DK) Zuerst werden die Neuzugänge aufgenommen. Hubers Rücktritt, Reich-Ranickis Randale, die durchgeknallten Banker und Seehofers neu entdeckte Liebe für den blauen Dunst. Das dauert so ungefähr 20 Minuten. Nachdem anschließend nach Art des Cetero Censeo noch beiläufig erwähnt wurde, dass Peter Hartz immer noch frei herumlaufe, geht das Programm eigentlich erst richtig los.


Messerscharfe Diagnosen: Arnulf Rating als Schwester Hedwig in der Ingolstädter Neuen Welt. — Foto: Rössle

Und zwar mit Vollgas und ohne Rücksicht auf irgendwelche Personen, Gruppen oder Parteien. Wie auch, da doch Deutschland, das von Schäubles Überwachungswahn, von Jungs Plänen zum Abschuss von Passagierjets und von Merkels Hosenanzügen gleichermaßen gebeutelten Gemeinwesen, nun endgültig am Tropf hängt. Was Arnulf Ratings, den wortgewaltigen Kabarettisten mit seiner Kunstfigur Schwester Hedwig auf den Plan ruft, die sich in der Ingolstädter Neuen Welt somit ihrer "allerschwersten Fälle" (so der Titel des Programms) annimmt. Selbstverständlich mit völlig einleuchtender Symptomanalyse, messerscharfer Diagnose, dem nötigen Durchblick und der richtigen Medikation. Auf dass Deutschland, das international eher zu den Geiselgeberländern gehört, nicht endgültig zum hoffnungslosen Fall werde.

Gibt es eigentlich irgendein Ereignis aus den vergangenen sagen wir mal zwölf Monaten, das in Ratings fast 140-minütigem, pfeilschnellem und blitzgescheitem Programm nicht vorkäme? – Wohl kaum. Nein, er ist eher der Typ, der seinem Publikum den Komplettservice bietet, dafür von ihm aber auch ein Höchstmaß an Konzentration einfordert. Sonst gingen nicht nur viele Fakten, sondern auch jede Menge skurriler Einfälle verloren. Zum Beispiel der, ab sofort das Adjektiv "pofalla" in den allgemeinen Sprachgebrauch einzuführen, und zwar für alles, was komplett bescheuert ist. Oder der, mit 74 Jungfrauen für den Katholizismus zu werben und so den Islam klar abzuhängen.

"Grüner Krötenschutzbeauftragter pro Afghanistan-Einsatz", "Jetzt Spritzen- statt Spitzensportler" und "Weg mit den Politikern! – Lobbyisten schmieren Wähler direkt!" – das sind Ratings Schlagzeilen, die sogar die der von ihm süffisant kommentierten "Bild"- Zeitung hinter sich lassen.

Arnulf Rating ist auch bei diesem Auftritt wieder der polemische, böse, ätzende Analytiker, als den man ihn bereits von früheren Gastspielen in Ingolstadt kannte. Die Dichte seiner Pointen ist wahrlich beeindruckend, seine Rasanz, die in kleinen TV-Happen schon beängstigend wirkt, erschlägt einen fast. Aber schließlich geht es um Deutschland, da kann man vom Publikum schon ein bisschen Anstrengungsbereitschaft erwarten. Noch dazu, nachdem einem alles so köstlich-heiter serviert wird.

Karl Leitner

© Donaukurier, 24.10.2008