Meister fiesen Spottes

Kabarett: Mit Arnulf Rating steht eines der bekanntesten Lästermäuler auf der Bühne des Patat-Kellers

MICHELSTADT. Obwohl ihm keiner der meist ortsunkundigen Besucher des prallvollen Weihnachtsmarkts am Samstagabend den Weg weisen konnte, hatte er den Patat-Keller gefunden: „Ich hab ja schon viel Elend gesehen; aber Michelstadt hat was“, irritierte der Künstler sein Publikum. Arnulf Rating, angekündigt als einer der Großen des zeitgenössischen politischen Kabaretts, machte seinen Vorschusslorbeeren bei diesem Auftritt alle Ehre.

Scharfzüngig und in einem aberwitzigen Tempo bot er mit „Reich ins Heim“ sein aktuelles Programm, das vor Pointen nur so strotzte. Zum Auftakt ging es querbeet durch die aktuelle Politik. Ob Gesundheitsreform („Lacher im Publikum rechne ich bei den Kassen als Patientengespräch ab“), Gammelfleischskandal, Terrorismus, Politikverdrossenheit, Parteiengezänk, Kanzlerin oder der Papstbesuch in Deutschland: Ironie und Spott waren die Waffen, mit denen Rating seine Attacken gegen eingefahrene Denkschemata ritt. Seine Einladung zu einer Zeitreise würzte er mit Geschmacklosigkeiten und Provokationen. „Hat Michelstadt – als Stadt, die heute schon älter aussieht als sie ist – eine Zukunft und wenn ja: Warum?", fragte er. Um dieser Stadt bis spätestens 2020 ein frisches Image zu verpassen, bot der Kabarettist eine Dreier-Runde sogenannter Experten auf.

Überhaupt zeigte sich Arnulf Rating enorm wandlungsfähig. Authentisch in Gestik, Mimik und Wortwahl, entlarvte er die Worthülsen politischer Hinterbänklern, Demoskopen und Lobbyisten. Als Schwester Hedwig plauderte der Kabarettist aus dem Erfahrungsschatz medizinischer Doping- und Schminkarbeit hinter den Fernsehkulissen. Er ließ Joschka Fischer als einstige Ikone der außerparlamentarischen Opposition verzweifelt gegen den Verlust der Werte aus der Zeit um 1968 auftreten, um ihn sogleich wieder abtreten zu lassen, „damit er rechtzeitig zur Niederkunft seiner nächsten Frau kommt“.

Die in die Jahre gekommenen einstigen Revoluzzer zählten ebenso zu Ratings Themen wie die Überalterung unserer Gesellschaft als Hoffnung für wirtschaftlich brachliegende Regionen: Michelstadt als jugendfreie Senioren-Residenz, der gesamte Odenwald als Region der Zuflucht für gealterte, resignierte einstige Hoffnungsträger. Ob im Swinger-Club Methusalem, im Inkontinenz-Zentrum Demenz, im Reisebüro Parkinson Crusoe oder als Valium-Konsument. „Als Arbeitsloser bist du nichts mehr wert, aber als Senior unbezahlbar!“ Auch wenn so mancher Lacher abrupt im Hals stecken geblieben war, den Beifall des begeisterten Publikums hatte Arnulf Rating bei seinem Schlusswort sicher: „Halleluja!“

Horst Kamke

© Echo Online, 20.12.2006