Betonpfeiler im Luftschloss

Sechster Lachmesse-Tag mit Arnulf Rating, Simone Solga und Alfons

Eins ist sicher: In der Nacht zu gestern ist Arnulf Rating mit einem guten Gefühl ins Hotelbett gestiegen – in der Gewissheit, weit über 200 Menschen mit einer Perspektive in die Zukunft entlassen zu haben. Dienstagabend entwirrte der Berliner im academixer-Keller das Knäuel, das ihm und dem Rest der Republik die Regierenden in akribischer Chaos-Arbeit hinterlassen haben. Nach knapp zweieinhalb Stunden liegen Ursachen, Wirkung und Konsequenzen für jeden einsehbar neben dem Patienten namens Deutschland.

Was geht noch bei einer Nation, die laut Finanzminister Steinbrück besser nicht mehr urlauben sollte – aus finanziellen wie aus Sicherheits-Gründen. Denn die Deutschen zählen zu den Geiselgeber-Ländern und können doch, wenn sie schon das Fernweh juckt, mit der Bundeswehr verreisen…

Was machen die (Ex-)Politiker, um das Land zu sanieren? Krankenschwester Hedwig, bei Sabine Christiansen zuständig für die Teampflege, packt alarmierende Geschichten über die Drogensucht von Machtinhabern aus. Und Joschka Fischer ist im Krankenhaus, um bei der Geburt seiner nächsten Frau dabei zu sein.

Soviel zur Bestandsaufnahme. In multipler Gestalt von Wirtschafts-, Marketing- und Umfrage-Experten listet Rating die Wege auf, die dem bald völlig kinderlosen Deutschland bleiben – insbesondere der Stadt Leipzig, die laut Demoskop 42,1 Prozent für ein Regalsystem von Ikea halten. Der desolate Zustand lässt wenig Möglichkeiten zu: Unprofitable Regionen ausschließen („Sachsen-Anhalt trägt den Stillstand ja schon im Namen“), gleich das Land fluten oder die Wirtschaftsstrategie konsequent aufs vergreisende Volk zuschneiden. Der frustrierte Alt-Grüne schlägt ein demokratisch geprägtes Rudi-Dutschke-Heim vor, in dem jeder Insasse die Pflegestufe selbst wählen kann.

Getrieben zwischen zwei Tischen und mehreren Brillengestellen liefert der Kabarettist politische Satire der Sonderklasse, die immer wieder überrascht, wohltuend anstrengt, kein Abschalten erlaubt und unablässig Essig in die wunden Stellen tupft. Zynisch, ironisch, wortspielerisch deckt er die Fehler im System Demokratie auf.

Am Ende hat Rating, der jedem seiner Typen charakteristische Marotten gibt, anhand von sehr plastischen Szenarien Betonpfeiler in das Luftschloss Zukunft gezogen. Den Aufschwung Alt garantieren unter anderem ein Roll-in-Kukident-Shopping-Center und die Inkontinenz-Hotelkette. Der Pflegefall Deutschland, endlich scheint er unproblematisch. Dankeschön.

Mark Daniel

© Leipziger Volkszeitung, 17.11.2006