Kabarettist Rating verzweifelt in Laubachs Waldeinsamkeit

Laubach (jhm). Arnulf Rating ist verzweifelt. Auch in der »idyllischen Waldeinsamkeit« des »Blauen Löwen« in Laubach kann er nicht aus seiner Haut. Er macht politisches Kabarett, obwohl die herrschende Kaste dies doch eigentlich gar nicht mehr hergibt: »Das ist heute der Rest aus der Kanne, mit denen schon früher zu Schulzeiten keiner gespielt hat. Ronald Pofalla, Kristina Schröder ... Mir tut der Kollege Richling leid, der die nachmachen muss.«


(Foto: jhm)

Das die über 50 Besucher seines Programms »Aufwärts!« am Sonntag trotz allem hellauf begeistert waren, lag nicht zuletzt an der Eloquenz, den Tiraden und treffsicheren, teils im Stakkato- Rhythmus übers Publikum hereinbrechenden Pointen.

Denn während man sich noch wundert, warum die Abwrackprämie nicht für »Schiesser« gilt, obwohl die doch Unterhosen mit Eingriff herstellen, ist Rating schon wieder einen »Schritt« weiter, sinniert über den »Pharma-Schinken in Rentenvollzugsanstalten« (Altenheimen) und kommt zum Schluss: »Da sind ihre Einlagen noch sicher, vor allem wenn sie nicht ganz dicht sind.«

Besonders das Spiel mit Worten hat es Rating angetan, er spricht von der »asozialen Marktwirtschaft« und »Anal-ysten«, bei denen entscheidend sei, was hinten raus kommt. »Hat der Kohl auch schon gesagt, bei ihm war’s Angela Merkel.« Die sei wenigstens als »Fregatte aus Mecklenburg gegen die Piraten im Einsatz.« Aber Westerwelle? »Der hat mit Vollgas die geistig-politische Wende versprochen. Bei Vollgas wenden: Ist ja klar, dass man da ins Schleudern kommt. Mittlerweile kommt er uns als Geisterfahrer entgegen und ist nicht mehr zu bremsen. Wir bräuchten eine Rückkauf-aktion für Westerwelle.« Doch auch wenn die Kanzlerin »vor 20 Jahren ihre erste Banane in der Hand gehalten und mittlerweile eine ganze Republik draus gemacht hat«, Westerwelle als »neoliberaler Hassprediger« durchfällt, die SPD mit Kanzlerkandidat Steinmeier auch noch ein »apothekenpflichtiges Schlafmittel« ins Rennen schickt und Brüssel als »politisches Endlager wie die Asse nicht ganz dicht« ist: Eigentlich sieht Rating die Macht der Politik schwinden. Vor allem der Bertelsmann-Konzern, »gemein und nützig«, sei doch letztlich für Gesetze und »Wahlkampfwaschmittelparolen« wie »Wir haben die Kraft« verantwortlich: »Denen ist doch egal wer unter ihnen regiert.«

Überhaupt ist neben der »paralysierten Republik« und ihren »Yes we gähn«-Repräsentanten die globalisierte Arbeitsgesellschaft Ratings großes Thema. Nicht nur könnten nach Maßgabe seiner »Rating-Agentur« ganze Ministerien auch per Hotline aus China geführt werden, es zerstören zudem »schweinesystemische Banken« wie die HRE jeglichen Handlungsspielraum.

Die zunehmende Konkurrenz mache sich auch im Medikamentenmissbrauch bemerkbar, was natürlich wieder der Pharmaindustrie nützt. »Jeder zweite geht mittlerweile krank zur Arbeit, die ganzen Medikamente würden im Sport als Doping nie durchgehen. Gehen sie mal nach Frankfurt: Da schwimmt neben den Bonuszahlungen von gestern auch noch der Schnee von gestern durch den Main nach Holland. Und die machen dann Tomaten draus. Und die werden von ganz alleine rot, weil sie wissen was drin ist.«

Doch obwohl polternd zwischen wachrüttelndem Anprangern und witzigem Sezieren der Mängel hat der Wahl-Berliner Rating auch Vorschläge zur Besserung, zumindest kleine. Etwa für das komplizierte Wahlsystem, bei dem die meisten doch meinten, mit der Erststimme wähle man die Regierung, mit der Zweitstimme die Opposition. Hier hilft vielleicht die Wählerkarte mit Geschenkrabatten bei Douglas fürs richtige Kreuzchen. Oder sollte es beim Wählen vielleicht nicht einfach nur mal kalte Getränke geben, wie in jedem anständigen Lokal? Rating ist skeptisch: »Der Trog bleibt der gleiche, nur die Schweine wechseln.« Und macht lieber weiter Kabarett - wegen all dem erfolgreich.

© Gießener Allgemeine Zeitung, 26.11.2010