Die teuren Pointen lässt er in Korea machen

"Alles Prima": Arnulf Rating bei den Wühlmäusen

"Seien wir doch ehrlich!", ruft Rating in den vollen Saal am Theodor-Heuss-Platz, "wir haben uns seinerzeit die Braut schöngetrunken!" Die Braut ist der Osten, und schließlich folge jeder Vereinigung eine postkoitale Traurigkeit. Nun liege uns die Fettel auf der Tasche, und was da blühe, seien keine Landschaften, sondern Herpes oder eine ausgereifte Gürtelrose: "Das ist alt, das ist krank, das tropft!"

Wer Witze über sich selbst nicht aushält, sollte Arnulf Rating und seinem Programm "Alles Prima" fernbleiben. Alle anderen kommen in den Genuss eines textprallen, pointensicheren Kabarettabends. Ein paar Brillen und zwei Perücken - viel mehr braucht der "alternde Künstler" mit der Glanzglatze und der strohdichten, gut gefönten Randbehaarung nicht. Er steht im dunklen Anzug auf der fast leeren Bühne und quasselt ohne Punkt und Komma.

Der Mann legt ein wahnsinniges Tempo vor. Vermutlich wegen der Schwafelsteuer, die er gerade einführt, und die 25 Prozent der Bruttoredezeit betragen soll. Außerdem muss die Witzrate erhöht werden, aber weil das zu teuer ist, lässt Rating die Pointen demnächst in Korea machen. Schließlich will er nicht die Riester-Rente, sondern lieber Riesters Rente. Seit er Sabine Christiansens "Die Sendung mit der grauen Maus" guckt, ist jeden Sonntag Totensonntag. Möllemann hat den beindruckendsten Rücktritt des Jahres hingelegt. Der Chinese grinst so, weil die Mauer noch steht. Dank der Gesundheitsreform winken bei Günter Jauch ab Januar keine Millionen mehr, dafür Hüftgelenke oder "drei Zähne Ihrer Wahl". Und wegen Überalterung wird aus Europa, dem Kontinent, demnächst der Inkontinent.

Rating stapelt auf einem Tisch drei bunt beklebte Reformpakete. Er packt und lagert und sortiert. Es kommt zum Reformstau. Früher hätte er den ganzen Mist einfach in den Osten geschickt, bedauert der Mann und fegt die Pakete vom Tisch. Sein wahres Problem aber ist, dass er quasi seit seiner Geburt eine Ich-AG ist und die Qualen einer multiplen Persönlichkeit durchleidet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer kämpfen in einer Person, und sogar der Aufsichtsratschef weiß langsam nicht mehr, wie er der Sache Herr werden soll. "Es geht ein Riss durch die Firma", klagt dieselbe.

"Ist das jetzt Quatsch oder politisches Kabarett?", fragt sich die Ich-AG hin und wieder selbstkritisch. Den Leuten ist's egal, denn es ist gut, und das ist die Hauptsache. Nach zwei Stunden und drei lachsicheren Nummern als Zugabe entlässt Arnulf Rating sein aufgedrehtes, vom Zwerchfell her entschlacktes, auffallend bunt gemischtes Publikum in die Westberliner Nacht. Dass Kabarett Ventilfunktion besitzt, scheint auch hier und immer noch zu stimmen.

Katja Oskamp

© Berliner Zeitung, 30.12.2003