Polit-Kabarettist Arnulf Rating lud zur Vorpremiere seines Programms "Alles prima" ins Lutterbeker

Am Anfang die Gretchenfrage der deutschen Kleinkunst: "Was machen wir heute Abend – Spaß oder politisches Kabarett?" Antwort des anspruchsvollen Zuschauers: "Politisches Kabarett!" Replik Rating: "Finden Sie das etwa witzig?" Spaß und Kabarett waren bei Arnulf Rating nie unversöhnliche Gegensätze.

Die Vergangenheit als einer der stadtbekannten Anarcho-Clowns "Die 3 Tornados" im Berlin der 70er und 80er liegt zwar lange zurück, prägt aber nachhaltig. Was den Mann mit dem blondfusseligen Haarkranz heute zu einem der brillantesten Kabarettisten macht, ist beileibe nicht, dass er in seinen Programmen die Aussöhnung mit einfältiger Blödelei betreibt. Die widerborstigen Finanzbeamten, Altersheiminsassen und Karrierefrauen, denen er im Laufe des Abends unter schlecht sitzenden Perücken und fiesen Brillen überdrehtes Leben einhaucht, wirken so absichtsvoll abgründig überzogen, dass der Verdacht eines Ausflugs in die harmlos-bunte Typenwelt vieler Comedians gar nicht erst aufkommt.

Doch vom altbackenen Besserwisser-Kabarett ist der provokant politisch Unkorrekte zum Glück ebenso meilenweit entfernt. Ratings Spaß ist in erster Linie ein intellektueller. Rasant sind seine gedanklichen Sturzflüge durch die politischen und gesellschaftlichen Realitäten, die er im unermüdlichen Pointengewitter beleuchtet. Kaum kommt man hinterher, all die bös-sarkastischen Assoziationskapriolen zu würdigen. Lustvolle Kopfarbeit für Künstler und Publikum, lässig respektlos präsentiert.

Im neuen Programm Alles prima, das im restlos ausverkauften Lutterbeker begeistert aufgenommene Vorpremiere feierte (Regie: Ulrich Waller), spannt Rating den satirischen Bogen weit: von den Sparvorschlägen aus Finanzminister Eichels "Reichsluftumbuchungsministerium" bis zur Öl-süchtigen US-"Beschaffungskriminalität" im Irak, vom Schmiergeld-Verdacht gegen die Vereinigungsregierung ("Die Vaseline der Kohl-Ära") bis zur Forderung nach einer "Schwafelsteuer" für gegenwärtige Kabinettsmitglieder.

Bei seinen aberwitzigen Gedankenverkettungen gilt Rating nicht nur stets das Private als politisch, sondern sogar das Psychische: Als schizophrene Ich-AG, deren Chef, Aufsichtsratsmitglied und Betriebsrat er in Personalunion stellt, durchleidet er die Beschäftigungsmisere am eigenen Leib. Die Rating-AG – Abteilung: Scherze, Satire und tiefere Bedeutung – muss rationalisieren, doch von mehr als Blinddarm und Haupthaar will sich die renitente Belegschaft einfach nicht trennen. Das Zerwürfnis ist vorprogrammiert, das komische Chaos komplett. Am Ende kommt die Eingangsfrage als Bumerang zum persönlichkeitsgespaltenen Witzproduzenten zurück: Wollen wir nun Quatsch machen oder Politik, oder ist Politik Quatsch? Solange das Ergebnis so drastisch geistreich unterhält, wen interessieren da schon Etiketten.

Beate Jänicke

© Kieler Nachrichten, 6.10.2003