Oben klug, unten nass.
Arnulf Rating, Kabarettist.

IM GESPRÄCH

Er kann es. Haltung annehmen, die Gesichtsmuskulatur geradeziehen, und wie gewünscht tief in die Kamera der Fotografin schauen. Bis dann plötzlich ein leichtes Zucken seine Mundwinkel erfasst, die Lachfalten sich kräuseln und er drauflosgluckert. »Aber Sie sollen doch nachdenklich gucken!« tuscheln die Cafegäste vom Nebentisch herüber. Irgendwie kann Arnulf Rating doch nicht so richtig ernst sein. Wozu auch. Sein halbes Leben lang ist Rating beruflich damit befasst, Menschen zum Lachen zu bringen. Mit dem Anarcho-Kabarett »Die drei Tornados« tingelte er dreizehn Jahre durch die Alternativtheater und über die Demonstrationsplätze der Republik. Anschließend machte er mit Kleinkunst-Kollegen zum »Reichspolterabend« mobil und hatte mit einem Varieté-Projekt im damaligen »Quartier« (heute »Wintergarten«) seinen Anteil an der Wiederbelebung des Genres in Berlin. Und nun steht er ganz allein auf der Kleinkunstbühne seinen Mann. Das Programm »Sprechstunde«, derzeit bei den »Wühlmäusen« zu sehen, ist sein zweites Solo. Um die Krankheitssyndrome am deutschen Volkskörper geht es darin und um politische Hirntote. Ein Fall fürs scharf gewetzte Satire-Skalpell. Genetisch vorausbestimmt zum Komiker war Rating nicht.

Vor 44 Jahren wurde er in Mülheim an der Ruhr in eine Familie hineingeboren, die »eigentlich völlig humorlos« war. Abgesehen von der Tante Elisabeth, einer »sehr dicken Kaffeeklatschtante«, die immer Geschichten im Mülheimer Dialekt erzählte. Den Dialekt hat er nicht drauf, und deshalb macht Rating seine Tante jetzt auch nicht nach. Zu den Humorschaffenden, die sich von Akzent zu Akzent und Parodie zu Parodie hangeln, gehört er ohnehin nicht. Er verlässt sich auf den Witz seiner Worte und die Assoziationsfähigkeit seines Publikums. Ein gnadenloser Schnellsprecher ist er immer, auf der Bühne wie im Gespräch. Eben noch am Mülheimer Kaffeetisch, sind wir nun schon mittendrin im Berlin der Post-Apo-Zeit. Nach einigen Mathe-Physik-Semestern in Münster - Kurzkommentar: »sehr trocken« - wechselte Rating an die FU, um es mit Theaterwissenschaften zu versuchen. Theater als Waffe des Klassenkampfes war damals im Schwange, und gemeinsam mit einem enthusiastischen Professor fuhren die Studenten zu den Kultstätten der Bewegung. Fringeshows in London, Off-Off in New York, Dario Fo in Italien. Bei den Exkursionen lernte Rating den Kommilitonen Günter Thews kennen. »Wir beide sagten uns: diese Form von Theater müssen wir irgendwie anwenden auf die politische Situation in Deutschland«.

Die Geburtsstunde der »Drei Tornados« hatte geschlagen. Allerdings hatten die zwei Schauspiel-Neulinge damals schon einen weiteren Politikbegriff als die scheuklappige K-Gruppen-Szene ihres Umfeldes. »Da war Lachen ziemlich verboten«, erinnert sich Rating, »aber wir haben uns einfach nicht dran gehalten«. Die Tornados machten von Anfang an Theater, bei dem Klamauk und Anarchie ineinander übergingen, wie im Zirkus ein Höhepunkt den nächsten jagte, immerhereinspaziertdiedamenundherren. Anfangs wurden Thews und Rating bei ihren Auftritten vom Multiinstrumentalisten Hans-Jochen Krank begleitet, später übernahm der vormalige Zirkuslehrer Holger Klotzbach (der heute die »Bar jeder Vernunft« betreibt) den Part. »Wir wollten, dass die Leute oben mit erweitertem Bewusstsein und unten mit nasser Hose aus der Show gehen«, beschreibt Rating die Tornado-Philosophie. Ein Konzept, das Erfolg fand. Im klapprigen Bulli landauf, landab unterwegs, stiegen die Spaßguilleros zu Szene-Stars auf. Im Fernsehen durften sie nach einer Jesus-und-Maria-Nummer nicht mehr auftreten, dafür spielten sie vor Zehntausenden von Anti-AKW-Aktivisten in Wackersdorf. Feinde machten sie sich mit gezielten Humor-Attacken auch in den eigenen Reihen, »mit der Kleinbürgerlichkeit und Naivität der Bewegung hatten wir immer unsere Probleme«.

Ihr letztes Gastspiel gaben die Tornados konsequenterweise wenige Tage nach dem Mauerfall bei einem Rockfestival in der Deutschlandhalle. Auseinander gingen sie aus Gründen, die man gemeinhin »privat« nennt. Klotzbach hatte während eines Auftritts einen Herzinfarkt erlitten, und Thews wußte, dass er HIV positiv war (an Aids gestorben ist er 1993). Am Anspruch, »Witz und Erkenntnis miteinander zu verbinden«, hält Rating auch als Ein-Mann-Unterhalter fest. Gegen die »beispiellose Bejahung unseres Gesellschaftssystem« sollen seine Programme ein kleines Gegengift sein. Schon in seinem Solo-Debüt »Perlen der Heimat«, für das er im letzten Jahr den Deutschen Kabarettpreis der Stadt Nürnberg bekommen hat, verzichtete Rating auf Kohlwitze. Die findet er »systemstabilisiernd«. Lachen ist für Rating kein Selbstzweck. Außer vielleicht beim Fotografiertwerden.

Christian Schröder

© Der Tagesspiegel, 11.03.1996